Die Verlobte Hanna hat die Briefe des Mannes von 1897 und 1899 aufgehoben und er hat sie bis an sein Lebensende bewahrt. Von ihr liegen deutlich weniger Briefe vor, obwohl er wiederholt bezeugt, dass sie regelmäßig schreibt (ein Brief pro Woche war wohl ausgemacht) und seinerseits sich dafür entschuldigt, wenn er aus Arbeitsgründen länger nicht schreibt. Wenn sie nicht schreibt, nimmt die Frequenz seiner Briefe merklich zu.
Die Briefe zeigen (bei aller Unvollständigkeit), wie eine Auseinandersetzung zwischen einer - ein paar Jahre älteren - Lehrerin mit dem studentischen Bräutigam bei den damals gegebenen Rechtsverhältnissen ablief.
24.12.1896
"[...] Am ersten Feiertag singen wir voraussichtlich um 20:00 Uhr in der Katharinenkirche, nachmittags um 5:00 Uhr ist Sonntagsschulweihnachtsfeier unter Leitung von Pfarrer Blech. . Danach gehe ich zu meinem Bruder Paul zur Weihnachtsfeier. Ich freue mich sehr auf die Kinderchen, sie sind ganz allerliebst. Am zweiten Feiertag sind sie dann bei mir und am Sonntag kommen die Deinen zum Kaffee und Bescherung zu mir.
Gott gebe uns ein seliges Weihnachtsfest, auf, dass Christus auch in uns geboren werde. In in uns Gestalt gewinne. "Das ewge Licht geht da herein, gibt der Welt einen neuen Schein, es leucht wohl mitten in der Nacht und uns das Lichtes Kinder macht."
Ja, mein Hugo, Licht und rein sollen unsere Herzen sein, dass Gott seine Freude an uns habe. Helfe er uns durch seine Weihnachtsgabe dazu. Lebe wohl, mein lieber Hugo,
Gott sei mit uns. Deine treue Hanna
.
Wann werde ich nun wieder schreiben? Zu Neujahr? Wer weiß? Deine Hanna
1.1.1897
Der Tag ist vergangen, ohne eine Zeile für mich, auch die Karte nach Hause ist wenig verheißungsvoll. Was soll’s mit dem glatten Weg, von dem du schreibst? H., Sei nicht verschlossen, sag mir, was dir ist. Ich will dich nicht kränken, nur dir helfen. Paul bringt dir ein Briefchen von mir mit, ich schrieb es um 3:00 Uhr Jetzt ist es 7:00 Uhr, ich wartete immer noch.
Mein H., ich habe dich von Herzen, aufrichtig lieb und es betrübt mich sehr, wenn ich dich gekränkt sehe.
Deine treue Hanna
Auf dem Briefbogen folgen 3 leere Seiten.
2. 1.1897
[...] Durch Versäumnis der Post ist dein Brief vom 31. Dezember erst heute früh in meine Hände gelangt. Bald danach kam der vom 1. Januar.
[...] Ich bin mit den Briefen noch nicht fertig geworden; ich bin nicht froh über das, was du geschrieben hast. Du hättest so nicht schreiben sollen.
Hanna.
Auf dem Briefbogen folgen dreieinhalb leere Seiten.
3.1.1897
Lieber [...]
Ich konnte dir gestern nicht schreiben, vielleicht hast du auf den leeren Blättern aber mehr gelesen, als ich jemals hätte schreiben können. Du hast mit deinen Worten viel angerichtet. Eine Stimme in mir sagt: Er hätte nicht so schreiben sollen, eine andere: es ist gut so. Aber wirklich, H., jedem Mädchen hättest du so nicht schreiben dürfen; deine Handlungsweise zeigt mir aber dein großes, wirklich unbegrenztes Vertrauen zu mir, und deshalb gehe ich auf sie ein. Ich halte es allerdings für verfrüht, mir das alles jetzt zu sagen, wenn’s aber das einzige Mittel ist, uns vor Schaden zu bewahren und uns zu unseren jetzigen Leben tauglich zu machen, dann ist es gut so, wie du getan hast. Mir war die Schranke natürlich, sie erschien mir immer notwendig und heilsam, ich hätte nie an ihr gerüttelt; sie ist mir überhaupt selbstverständlich; keine Schranke, sondern etwas, was nun einmal da ist. Aber das Fallen der Schranke habe ich wirklich kaum jemals gedacht. H., Ich bin vielleicht noch mehr ein Kind, als du glaubst, gut; mit einem Satz über alles hinweg – deine Frau. Wirklich, das Wort hat mich beruhigt, als ich es am Schluss deines Briefes las. Und darum Hugo, wenn du in mir nicht deine Braut sehen kannst und magst, nun gut, dann nimm mich als deine treue keusche, Frau hin, die ihrem Mann klar und bewusst gegenübersteht. Gott helfe, dass dieses Tun heilsam für uns ist. H., wenn ich dir damals nicht zugab, als deine Frau mich zu halten, so meinte ich es wirklich nicht nach dem Fleisch, glaube mir das, H., das traut ich dir nicht zu, gewiss nicht. Wenn ich von Plan[?] sprach, so meinte ich unsere Tätigkeit, die wir jetzt verstehen[?]. Du hast dein Studium, ich mein Lehrfach, das Vorwärtskommen meiner Kinder, mein Wirken an ihnen ist doch natürlich neben dir, mein H.., mein Hauptinteresse. Dich kann all das nicht interessieren, mich aber muss es interessieren, sonst bin ich keine Lehrerin. Und mein Tag vergeht mit den Kindern. Wenn ich mit dir verheiratet bin, arbeite ich doch größtenteils für dich, mein ganzes Tun muss dich interessieren, folglich muss jenes Zusammenleben ein anderes sein, als es jetzt sein kann. Folglich muss ich dann auch anders zu dir stehen als jetzt, wo ich weiß, einer der Hauptfaktoren in meinem Leben geht dich direkt gar nicht an. Aber indirekt. Die Treue, die Klarheit, die Selbstlosigkeit, die Freundlichkeit, die ich meinem Beruf als Lehrerin brauche, sie sind allgemeine menschliche Forderungen und deshalb kannst du auch mein Arbeiten und Ringen nach ihnen wohl verstehen. Deshalb kann unser Tun also ein gemeinsames sein und indem wir einander helfen, miteinander arbeiten, uns jene Fähigkeiten zu eigen machen. H., ich bin dir ein Ärgernis?! Auch an mir ist unser Zusammenleben nicht spurlos geblieben, doch H., ich habe das nie als Sünde empfunden, es ist natürlich. Und H., bei Gott, auch dann nicht, wenn wir zusammen waren, habe ich dein Fleisch geliebt; das ist Wahrheit. Ich glaube, du beurteilst die Mädchen, und mich mit, nicht richtig. Wirklich, wir sehnen uns gar nicht nach den Männern, weil sie Männer sind; nein, aber H., glaube es mir es ist so, wir sehnen uns nach ihrer Kraft, ihrem festen, klaren Wesen nach ihrer Wahrheit. Glaube nicht, dass ich irgendetwas beschönigen will, nein, ich sage dir die Wahrheit, das, was ich im innersten Herzen meine und fühle. Bei Männern ist das wohl anders – aber nein, ich weiß nicht, wie die Männer von den Frauen denken, wie kann ich es wissen. ? – Ich will eine gleichberechtigte Gefährtin eines Mannes sein, was mich keineswegs hindert, in ihm meinen Herrn zu sehen. Und nach diesen Gesichtspunkten handle ich bereits; ich handle frei und richte mich doch nach dir. Ich werde es immer besser tun lernen. Habe nur Geduld mit der trotzigen Hanna.
9.3.1899
"[...] Vor allen Dingen, es geht mir schon viel besser. Eben habe ich meine Toilette beendet. Sitze wohl frisiert in Negligée-Jacke höchst vergnügt auf dem Sofa und beeile mich, dir so schnell wie möglich Nachricht von meiner Besserung zu geben. Siehst du, es ist eben eine gehörige Influenza, wie sie hier sehr herrscht. Mich hat sie auch gepackt und mich ins Bett gesteckt, wo ich dann ganz ruhig liegen musste. Es trifft aber tausend andere Menschen ebenso wie mich. Jedenfalls aber kann ich heute schon auf sein, schreibe doch ohne Anstrengung diesen Brief, habe allerdings ein unsicheres schmerzhaftes Gefühl, hänge in den Leinen, die übliche Art der Influenza. [...]"
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