Wünsche und Klagen des Mannes
Frage: Was bedeutet im Kontext dieser Briefe: "Verbrenne die Briefe!" Und was bedeutet, dass sie lebenslang aufgehoben wurden?
30.4.1899
"[...] So lange habe ich dich warten lassen. Es ist recht böse von mir; aber ich konnte doch nicht gut anders. Ich war etwas leidend; aber das ist jetzt bis auf Schnupfen vorüber. Vor allem aber hielt mich eine Unmenge von Arbeit ab vom Schreiben. Du brauchst dich nicht zu beunruhigen; es ist alles gut. Habe vielen Dank für deine lieben Worte.[...] Ich möchte so gerne dein Denken hier kennen.
Nur habe ich eine Bitte, die ich alle Jahre um diese Zeit wiederhole. Lass dich, bitte, nicht von der Sonne bräunen. Ich kann es nicht leiden bei dem weiblichen Geschlecht. Und sehe ich dich dann an, dann ist mir immer etwas Unangenehmes vor Augen.. Willst du mir nicht die Liebe tun? Ich möchte so gerne, dass meine liebe Frau für jedermann eine angenehme Erscheinung ist.
[...] Sei nur recht emsig. Ich möchte so gerne dich einmal schalten sehen. Ich sehe nichts lieber als eine rührige Hausfrau und habe von dir in Gedanken auch nur dieses Bild. Damals beim alten Eisenack sah ich dich im eng anliegenden schwarzen Kleide so rührig und doch so ruhig und gemessen und sicher hantieren. Das war’s eigentlich, was mich [!] dich so lieb und wert machte, was meine Aufmerksamkeit auf dich lenkte und dann, als ich neben dir saß und aus dem demselben Buche lesen durfte, da hattest du dasselbe, schwarze Kleid an und ziemlich kurze Ärmel dran, so dass dein Arm etwas entblößt war. Während du last, rückte ich möglichst nah an dich heran und ließ mich betäuben von dem eigenartigen balsamischen Duft, der deinem jungfräulichen Busen entströmte, und küssen mögen hätte ich deinen weißen Arm und dich ganz, ganz. Sieh, so habe ich schon lange leiden müssen. Du Liebe. Du sagst wohl: ich bin narrisch. Nun lass mich nur gewähren. Du kannst mich ja ummodeln. Es steht in deiner Macht. Aber mach’s nicht zu hart. Sag, was meinst du wohl, wie wir es treiben werden?
Lass uns nur recht fleißig und sparsam sein. [...]"
11. Juni 1899
Meine liebe Hanna.
Du hast mir wieder einen so schönen Brief geschrieben und so zeitig. Ehe ich noch abfuhr von A erhielt ich ihn noch. Und ich! Immer komme ich zu spät mit meinem Schreiben. Ich ärgere mich gewaltig darüber und ich konnte es doch nicht ändern. So viel habe ich zu tun. Sei mir, Liebste, nicht böse darum, dass ich für dich keine Sonntagsfreude schaffe. Er ist nicht Gleichgültigkeit. Glaubst doch, dass ich dir alles, was du gern möchtest, von selbst erfüllen würde? Ich habe der lieben Mutter alles berichtet, was du von Hause geschrieben hast. Nun sitzen wir drei, Mamma, Hede und ich hier in meinem Zimmer und sind vergnügt und fröhlich und freuen uns über das Zusammenleben. Sag' mal, Hanna! Mama sagt, du hättest gesagt, wir brauchen sie später noch sehr notwendig, wenn wir Kinderchen hätten, dann müsste sie dir beistehen und helfen. Hast du das wirklich gesagt?
Warum meinst du denn, Hanna, du müsstest dich anstrengen? Glaubst du, du wirst im Hause nicht genug zu tun bekommen? Ach, Hannchen! Es wird schön werden. Das glaube ich auch. Wir sind auch so froh, weil wir wissen: es kann uns nichts geschehen, als was Gott hat ersehen und was uns nützlich ist. Da muss man doch gut gutes Mutes sein, wie?
Über den Gruß vom lieben Pastor habe ich mich sehr gefreut. Vielleicht schreibe ich ihm heute noch ein Briefchen.
Also im Wirtschaften geht es dir gut? Und es macht dir auch schon mehr Freude als das Schule halten. Das ist ja herrlich. Aber sorge auch nur dafür, dass du über dem Wirtschaften deine Bildung nicht vernachlässigst und immer Neues zulernst. Ich bin oft so abgeschlossen, dass ich keine Gelegenheit habe, mir das Neueste anzueignen. Ich bin oft vom Beruf so in Anspruch genommen, dass ich fürchte, einseitig zu werden. Davor, liebste Hanna, bewahre mich. [...]"
11.8.1899
"[...] Kurz gesagt: ich beklage mich über dich. Ich wiederhole dir nochmals das, was ich in meinem letzten Briefe gesagt habe. Du bist in erster Linie jetzt für mich da.
Wenn ich nun schon gezwungen bin, ferne von dir zu leben und nach einem vollen Jahre dich für einige Tage nun auch nicht sehen darf, so brauche ich doch nicht zu leiden, dass mir die Entfernung so recht deutlich noch vor Augen gestellt wird. Ich meine, jetzt sind Ferien. Und du wolltest mir in den Ferien ja öfters als einmal die Woche schreiben. Jetzt sind die Ferien ja bald vorbei. Übrigens hast du mit den Ferien ja gar nichts zu schaffen. Wenn ich abends um sechs nach Hause komme, bin ich abgespannt und wenn ich schreiben will, dann stelle ich mir alle Personen und Dinge so lebhaft vor Augen. Und wenn ich nun an dich schreibe oder auch an die lieben Eltern, dann kommt mir so recht vor Augen, was ich wissen muss, ein ganzes Jahr wissen muss, so dass ich gar nicht weiß, ob ich einen je wieder sehe, denn in meinem Beruf kann einem bald ein Unglück zustoßen. Und dann bin ich so traurig oft, dass ich gar nicht schreiben kann. So geht es mir fast jedes Mal, wenn ich schreiben will. Ich hätte sonst schon öfter geschrieben. Aber warum soll ich mich unnütz quälen?
Bei dir ist das ganz etwas anderes. Du bist nie so von allen Lieben abgetrennt gewesen wie ich. Du kennst also gar nicht die Macht der Sehnsucht. Du wirst viel zu leicht und zu bald von deiner Umgebung abgelenkt, als dass dies Gefühl bei dir feste Wurzel fassen kann.
Aber traurig ist es, sehr traurig, für den fernen Bräutigam erfahren zu müssen, dass seine Braut derartige selbstverständliche Dinge nicht von selbst einsieht, dass sie dem abhelfen möchte, sondern die freie Zeit genießt, als brauche sie sich nur selber leben, als hätte sie keine größeren Verpflichtungen. [...]
Hanna. Du kannst es dir doch gewiss vorstellen, dass in der Ehe alle Faktoren eine Rolle spielen werden. Du wirst dann auch ferner begreifen können, dass die Schwächen und Mängel der Eltern sich an den Kindern zeigen werden. Das ist Naturgesetz. Alle Unklarheiten im Denken, alle nicht ausgebildeten Triebe sind von Einfluss auf das keimende und wachsende Leben. Und es ist die Schuld der Eltern, wenn das Kind geringe Fähigkeiten besitzt. Die Eltern haben eben schon bevor sie Eltern werden Verpflichtungen. Schon seit unserer Geburt datiert diese Verpflichtung. [...]
Liebe Hanna. Mir ist so dunkel vor den Augen. Es wird mir vieles so gleichgültig. Ach und ich möchte es so ganz anders haben.
Ich habe dich ja lieb. Warum denkst du von mir so etwas Verkehrtes?
Ich bin wohl schwach; aber ich bin auch wieder stark mit Gottes Hülfe.
Ich habe ja alles dann verloren, wenn du so bleibst. Dann habe ich mich unnütz angestrengt und kann wieder etwas beklagen.
Ich bin recht einsam. Ich kann nicht mehr schreiben, meine Gedanken sind zu trüb! Du sollst nicht traurig sein. Du sollst wahrhaft fröhlich sein. Oh, wäre ich bei dir! Wie schleichen die Tage und Wochen dahin. Es ist, als wollten sie kein Ende nehmen.
Gott schütze dich und schenke dich mir ganz, ganz als meinen Schrein, in den ich all mein Denken und Wissen aufspeichere. Es ist mir ja keine Lust, ohne dich zu leben. Wie soll das werden?
Mit treuem Gruß dein H"
Liebe Hanna.
Sag' was soll ich davon halten, dass du nicht schreibst? Verstehst du meine Gefühle denn gar nicht? Treibt es dich nicht zum Schreibtisch, um mir meine Unruhe zu nehmen? Ich weiß wirklich nicht, was ich annehmen soll. Ich mache mir noch kein Urteil darüber. Ich will erst hören, was vorgefallen ist; ich könnte ja leicht ungerecht sein.
Ich habe am Sonntag deinen Brief pünktlich erhalten. So lieb er mir ist, so war ich auch in Erwartung, was dein nächstes Schreiben mir bringen würde. Nach meiner Rechnung konntest du den Brief gut am Sonnabend vorm[ittag] haben. Ich konnte also bestimmt Montag spätestens Montagabend eine Antwort haben. Heute ist der Dienstag verstrichen – und noch keine Antwort. [...]
Nun, ich wollte dir nur dies alles mitteilen, vielleicht ist es dir möglich, meine Lage zu verstehen. Noch eins muss ich erwähnen. Wenn das Weib hinter dem Manne im Großes leisten nicht zurückstehen will, so ist das sehr löblich. Die Frau kann dabei aber einen sehr großen Fehler begehen. Sie arbeitet selbstständig und schafft etwas, worüber sich der Mann freuen soll, wenn er davon hört. Nur solange es sich auf Hausfrauenpflichten bezieht, ist das gut. Sobald es aber über die häusliche Schwelle sich erhebt, ist es falsch, grundfalsch. Die Frau, die etwas leisten will, hat zu bedenken, dass sie in allem dem, was außerhalb ihrer 4 Wände liegt, stets nur die Rolle eines Gastes spielt. Die Frau darf in der Ehe nie eine selbstständige Rolle führen wollen. Die Frau, wenn sie etwas leisten will, hat zuerst zu lernen, die Ausrichtung, den Gedankenkreis des Mannes zu studieren. Will sie das nicht, will sie selbstständig für sich ein Urteil fällen, handeln, ohne ihren Gemahl in jeder Sache gefragt zu haben, scheitert all ihr Wollen, all ihr weites Streben, an dem sich bei Ja, immer mehr festsetzenden Eigenwillen, Egoismus, Freiheitsdrang. Dann ist sie zur Gattin völlig untauglich und Mutter völlig ungeschickt. Ein Eheglück gibt es natürlich dort nicht. Und ein rechter Gatte wird sich hüten, eine solche Frau zur Mutter zu machen. [...]"
4.9.1899
"[...] Ich habe mich um deine Verwandten nie so gekümmert, dass ich an Ihnen irgendwelch' Interesse hätte. Meine Meinung ist also vollständig ohne Voreingenommenheit und ich bin auch kein Waschweib oder sonst ein schwächeres unselbstständiges Wesen, das sich je von anderen in seiner Meinung beeinflussen ließe, keiner bekommt das bei mir fertig. Auch du nicht. Ich kenne da nichts weiter als Fakta, nüchterne Dinge, die allein für sich reden müssen. Ich treibe keine Gefühlspolitik aus übel angebrachter Humanität und reiner Gefühlsduselei, wie ich jenes unklare, unsichere Schwanken bezeichne, das vor allem die Weiber aber auch sehr viele Männer gerade zu charakterisiert.
Und das mag ich gleich hier einführen: höre nur nicht auf die, die dir für unser Eheleben so genannte kleine Frauenlisten mit als guten Rat auf dem Weg geben, wodurch es dir möglich wird, mich umzustimmen und deinen Zweck zu erreichen. Ich habe keine Launen und ich kenne alle jene Frauenlisten. Und ich studiere den Menschen viel zu lange und viel zu genau, um nicht zu wissen, wie er es anfängt. Ich merke jedes Mal die Absicht des anderen. Das verstimmt natürlich sofort, als man die Absicht erkennt. Und wenn ich dich auch oft gewähren lasse, so geschieht es entweder aus dem Gesichtspunkt heraus, weil du nicht reif bist für das Verständnis deiner gegenwärtigen Lage oder aber der Geringfügigkeit halber, damit du mir nicht vor der Zeit den Mut verlierst. Ich bitte dich also, Hanna. Höre auf mich allein und glaube meinen Worten kindlich. Ich würde noch nicht heiraten, wenn ich mich nicht dazu stark fühlte. Ich bin mir der vollen Verantwortlichkeit bewusst, die auf mir und dir lastet. Und ich habe nicht nur die Gegenwart im Auge, sondern auch die Zukunft. Ich würde noch nicht heiraten, könnte ich nicht allein, meine Angelegenheiten, unsere Aufgaben durchdenken und richtig ausführen. Und heirate ich, so fühle ich mich als ganzer Mann und dulde keinen Berater neben mir. Nur mein Weib ist berufen, an meinen Beratungen teilzunehmen. Ich dulde keine Weiberwirtschaft. Und verstehst du mich nicht hierin, so lerne es mich verstehen, es ist die erste Aufgabe und geht jedem lumpigen Stundengeben voraus! Willst du Frieden im Hause haben, so füge dich ehe es zu spät ist. Ich allein habe in unserem Haushalte das entscheidende Wort und weise jedes Parlamentieren von vornherein zurück. Was ich gesagt habe, ist auszuführen. Das bestimme ich als dein Oberhaupt und als Vorstand unserer Gemeinschaft. Ich bitte dich über diesen Punkt unserer Ehe dir ganz klar zu werden. Er ist ganz einfach. Und wenn es dir endlich klar geworden ist, welche Stellung, du als mein Weib und auch jetzt schon als meine Braut den Verwandten, vor allem deinen Verwandten gegenüber einnimmst, wenn du den richtigen Unterschied zu machen verstehst, Dann wirst du dich lieb in meine Arme legen und sagen zu mir, deinem Manne, der dich doch so lieb hat: "verzeih mir, dass ich mich so lange gesträubt habe, ich wollte nicht, ich wollte nicht alles als richtig annehmen, was du sagtest, ich ärgerte mich, dass du alles tadeltest, und wollte nicht dulden, dass du dir so viel auf dein allein richtiges Urteil einbilden solltest. Und jetzt sehe ich, dass ich dir bitter Unrecht getan habe und dir die Stunden mit meinen halb richtigen Anschauungen und meinem Trotz vergällt habe, wo ich glaubte, du wollte[st] mich immer schulmeistern. Ich weiß jetzt, dass du bei allem Stolz demütig bist und ich demütige mich unter dich, als dein schwaches Weib, aber ich will auch allein dein sein und ganz dein sein für immer."
Und Hanna, liebe Hanna, ich bin dann der glücklichste Mensch auf Gottes weiter Welt! Ich mache mir aus dem ganzen Leben nicht viel. Ich möchte nur eins: Liebe üben, und zwar wahrhaftige, ewige Liebe: Und damit das möglich ist, müssen wir uns alle von den Schlacken reinigen, die an uns hangen. Und das erste ist die Selbsterkenntnis. Was nennen die Menschen nicht alles Liebe! Ein Mensch trifft gegen Abend ein geiles, lustiges Dienstmädchen, wie sie ja zu tausenden herumlaufen. Er sieht das als „Kenner“ ja dem Mädchen gleich an. Er will ihr aus Liebe helfen, diesen mächtigen Naturtrieb für eine Zeit lang loszuwerden und geht mit ihr nach Hause, damit sie wenigstens nicht ein anderer mitnimmt, der sie mit seiner Krankheit ansteckt und so die Menschen weiter verseucht. Auch dieser hat dem Mädchen einen doppelten und großen Liebesdienst in der Tat erwiesen. Hier wird dir nun wohl einleuchten, dass der Herr zu ihnen sagen wird: weichet von mir alle, ihr Übeltäter, ich habe euch noch nie erkannt. Es gibt aber viele Taten, die nicht so offen die Eigenliebe und Selbstsucht und den Selbstbetrug zeigen. Es würde auch zu weit führen, hier im Briefe ein einigermaßen klares Bild geben zu wollen. Nimm meine Hand, mein geliebtes Weib, und folge mir. Ich will dir der Menschen Inneres zeigen und den Wert ihrer Taten, dann sagst du auch, wie Tiberius:.."aus jeder Großtat sahen der Selbstsucht Züge mich versteinert an."
Wenn ich nicht wüsste, dass bei dir im Gehirn nur alles kunterbunt durcheinander wirbelt: Güte und Liebe, Strenge und Unbeugsamkeit und Stolz und alles auf das Konto einer vernachlässigten Erziehung und eine ungeschickten Selbsterziehung zu schreiben ist, ich würde schon lange es aufgegeben haben: nicht nur, dich zum richtigen Verständnis deiner Umgebung zu erziehen, sondern auch dich zu lieben und würde dir in aller Freundschaft erklärt haben, dass ich mehr verlange als nur eine gleichberechtigte weibliche Kraft. Wir hätten uns entlobt. Meine Liebe nimmt in dem Maße zu, in dem das geliebte Wesen sich mir ganz hingibt, nicht etwa bloß für Augenblicke, sondern aus Bedürfnis für jede Sekunde Pulsschlag. Sei ganz mein! Und überlege was, das heißt ganz! Und dann, wenn du es gefunden hast, wirst du auch merken, dass wenn du mich so liebst, wie ich es allein als richtig anerkenne, du mir von dem Augenblick ganz gehörst, in dem du mir deine Liebe gestanden.
Die in kleinerer Schrift wiedergegebenen Zeilen ab "Ach wolltest du" sind an die Briefränder des Briebogens geschrieben.
Es folgt das noch fehlerhafte Diktat seines Briefes vom 7.9.1899:
Meine liebe Hannah.
Du bist krank und elend?! Warum schreibst du mir nicht davon? Hanna, meine liebe Braut. Und nun erhältst du noch einen Brief von mir, der dich zum weinen traurig gestimmt hat. Was wirst du wohl von mir denken?
Ich habe dich, Liebste, ja gar nicht betrüben wollen. Warum weinst du nur? Und warum schreibst du mir gar nicht von deiner Erkrankung! Liebes Hannchen, schone dich doch! Und dann will ich dir doch noch etwas sagen: Verbrenne alle Briefe. Wenn sie dir nur Kränkung über Kränkung verursachen, dann ist es besser, sie zu vernichten. Ich habe dich nie kränken wollen. Ich habe nur aus großer Besorgnis um unserer Liebe willen alle meine Bedenken geäußert und habe mir Gedanken gemacht, wenn ich sah, dass das, was ich erstrebte, nicht so, wie ich es wollte, vorhanden war. Aber nie habe ich dich direkt tadeln wollen, als wolltest du mir entgegen handeln. Und wenn ich etwa so gerade zu geschrieben habe kommt, dann war es Bitterkeit [?] Und dann, meine ich, habe ich mich entschuldigt bei dir. Aber, Liebste, mein letzter Brief sollte davon nichts haben. Das war nur ein rein sachlich gehaltenes Schreiben, wie wenn du eine Hausordnung gelesen hättest. Du solltest das durchaus nicht als Ausfluss meiner Gefühle betrachten, liebes Hannchen, dann wäre das allerdings ein herzloses Schreiben. Ach, Hanna, du hast das Schreiben falsch aufgefasst.
Und Hanna, liebe Hanna, wenn ich schrieb, dass du nicht böse sein solltest, dass dir das Missgeschick passiert wäre, am Sonntag keinen Brief erhalten zu haben, Hanna, so habe ich nicht daran gedacht, dass du mir meine alten Sünden vorhalten und nachtragen würdest. Ich wollte dich recht durch viel Briefe schreiben, erfreuen, und da tat es mir leid, dass du nun am Sonntag wo du doch ganz bestimmt ein Briefchen von mir erwartet hast, dich getäuscht, sehen solltest. Darauf bezog sich mal diese Notiz. Ich wollte durchaus nicht den Anschein erwecken, als wäre es dir zum ersten Mal passiert. Warum trägst du mir alles so lange nach?
Und nun, Hanna zu deinen Ausführungen über das Arbeiten an der Aussteuer.
Hanna Hanna: du schreibst: Ja, gewiss, anstatt meinen alten Tanten, deren Fleisch und Blut ich noch bin, beistehen, Ihnen zu helfen und mit meiner jüngeren Kraft, durch Unleserlich zulassen zu sitzen und Sachen zu nähen, die jede Nachgehfrau besser macht als ich. Dabei versehre ich mir die Augen. Wenn unleserlich doch ist es ja alles besser oder? Kannst unleserlich, wenn nur ein Handwerk hervorkommt. Unleserlich.
Hanna! Wenn du auch erregt bist. Du sollst nicht so sprechen und noch weniger so schreiben. Und wenn du das nicht begreifen kannst, dass du mir allein angehörst und an mich zuerst denken sollst– ob ich dein ganzes Leben und Denken, nur für mich auch vollständig beanspruche, ob ich dich nicht gänzlich davon entbinde, das ist doch erst eine zweite Sache, und hier trifft erst die Nächstenliebe auf. – Und wenn du nicht einsehen kannst, dass deine ganze Liebe Von einem Mann in Anspruch will genommen werden, durch den du zur Mutter werden sollst und durch ihn Wesen zur Welt bringen sollst, die von ihrem von ihm und dir alle gaben alle guten Eigenschaften erhalten sollen und die in Wirklichkeit die Eigenschaften halten, die wir auch wir besitzen, so dass wir unsere Liebe nötig haben, zu konzentrieren und nötig haben, uns gegenseitig rechtzeitig zu erinnern und nötig haben aufeinander mit edlen Gefühlen und reinem Denken andauernd zu wirken. Danke – dann, Hanna, wenn du dies alles glaubst, überspringen zu können und abwarten willst, was die Zukunft hier erst bringen wird, dann handelst du nach meiner Meinung nicht richtig, sondern ich muss sagen, du schaffst uns Hindernisse statt die vorhandenen zu beseitigen. Du stehst dann – nach meiner Meinung – nicht am rechten Platz. Wie kannst du, Hanna glauben, dass ich die Nächstenliebe nicht üben will, wie kannst du nur annehmen, dass ich deine Liebeswerke an den Verwandten zerstören will, Wie kannst du nur solche Ungeheuerlichkeit von mir erwarten? Hanna, Hanna! Wie bitter bist du!
Hanna! Und nun diese Geschichte um deinen Pflegebruder! Wenn du deinem Bruder das Geld kündigst, dann erschüttert du noch lange nicht seine Existenz. Es ist zunächst nur rechtlicher Art. Und du hast es in der Gewalt von seinen Wirkungen Gebrauch zu machen oder nicht. Wenn nun dein Pflegebruder schlau ist, dann bemüht er sich, dir eine ganz kleine Summe abzugeben. Dann nach einiger Zeit wieder und sofort. So werden die Zinsen immer geringer und höheren schließlich auf. So würde ich es tun und mich bemühen, den Mädchen, dem ich so viel Gutes verdanke, möglichst bald ihr unleserlich Anteil zurückzugeben. Was ich aber bis jetzt persönlich bei ihm beobachtet habe, das hat mich zur Überzeugung gebracht, dass er vollkommen schwach ist und die Feste alle feiert, wie sie sich ihm bieten, ohne sich zu fragen, ob er sie feiern kann. Er lebt in den Tag hinein und ist denen dankbar, treuherzig dankbar, die ihm seine Schwächen, die er sehr wohl kennt, nachsehen und für ihn gerade zu handeln. Dein Pflegebruder tut mir leid, sehr leid. Und ich werde durchaus keinen Anlass geben, seine Existenz zu zerstören. Ein anderes ist es aber, ob er gezwungen wird, durch dein Vorgehen sich so manche von seinen vielen Extravaganzen zu versagen. Du bestärkt ihn in seinem Denken. Du zerstörst durch dein Vorgehen, höchstens seine Lebelust, wenn er sie sich zerstören lässt.
Du brauchst gar nicht ironisch oder verbittert. Meine eigenen Worte "meine verkehrte Erziehung" gebrauchen. Hanna. Es ist wirklich verkehrt. Glaubst du etwa, es ist mir ein Redebedarf, über alles den Start zu brechen? Glaubst du etwa, ich wollte dich mit Tadeln erziehen, mürbe machen? Ach, Hanna. Du schiebst mir allerlei allerhand unlautere Motive unter. Und warum? Ich sag, woran liegt es, dass du müde wirst von meinen Reden, von der gleichen einerlei, dass ich wie besessen reite, dich nicht froh werden lasse. Sag, was will ich denn, was denke ich, was habe ich davon? Ich dir die Augen verbinden, dich blind machen? Nein, sehend!
Hanna! Alles zu erwidern, was du geschrieben, geht nicht. Du könntest das Gefühl dann haben, als müsstest du dich wieder verteidigen und meine unrichtigen Behauptungen von dir aus wieder zurückweisen, mich in meinem Selbstdünkel treffen.
Nein! Es ist leider fast immer bei meinen längeren Schreiben der Fall gewesen, dass das Endergebnis der gegenseitigen Schreiberei weiter nichts gewesen ist, als ein ewiges Klagen und ein Betrübt sein und Unfreundlichkeit und bleibender, vergrößerter Kummer. Das habe ich erreicht! Und – es ist eigentlich der reine, Hohn, es auszusprechen – klare, reine Freude, bleibende Fröhlichkeit ungetrübte Liebeslust wollte ich erreichen! – Ja, ich habe an einem schuld! Ich habe hart und fest, fast trotzig, meine Ausführungen gemacht. Ich habe mich nicht um den Eindruck gekümmert, den man Schreiben bei der Braut hervorrufen könnte. Das ist meine Schuld! Und das ich so gehandelt habe, weiß ich von Anfang an. Ich wollte es, weil ich es für richtig hielt. Ich wollte nichts als Wahrheit und Klarheit im Denken. Das durfte durch Gefühle nicht getrübt werden. Oft versuchte ich die raue Wahrheit einzukleiden in üblichen Worten. Ich fürchtete eben, du würdest dem allen nicht völlig gewachsen sein. Ach, Hanna! Und ich muss es nun endgültig als feststehend betrachten: du kannst mir auf diesem harten Wege zur Selbsterkenntnis nicht folgen. Ich muss ihn allein gehen, ohne einen Begleiter auf Erden in leiblicher Gestalt zur Seite zu haben, der mich anfeuert, nicht locker zu lassen, sondern unentwegt weiter auf der rauen Bahn vorwärts zu dringen. Nach meiner Überzeugung darf ich keinen anderen Weg wandeln. Muss es sich auch an uns entzünden, dass der Weg zu Erkenntnis der Wahrheit uns Liebende trennt? Es ist doch hart: einmal, Hanna, liebe Hanna, glaubte ich, dass du mich verständest. Es war vor zwei Jahren im Mai, kurz bevor ich nach A .reiste. Ich muss einen neuen Bogen nehmen. [...]. Wir wohnten damals, bei X, da kamst du unerwartet. Wir hatten nachher Gelegenheit, ein wenig allein zu sein. Ich zog dich auf meine Knie und fragte dich, ob du mir überall hin folgen könntest, ob du bei mir bleiben könntest, wenn alle mich hassen würden, Wenn mich alle verlassen würden, wenn niemand mich verstehen könnte, und man höchstens über mich als einen Sonderling lachen würde, wenn ich so mit meinem Kummer allein wäre und mich in mich selbst verzehren würde, könntest du mir treu bleiben, fragte ich dich, würdest du mich nicht verlassen? "Ja, H.,", sagtest du "ich bin ja dein Weib, und ich bin stark, ich will dich verstehen lernen." – Oh! Wie wohl tat mir das! Und wie Freudestrahlen, sah es in meinem Inneren aus. Ich dankte meinem Gott unaufhörlich, dass er mir ein Wesen gegeben hatte, dass mich verstehen lernen wollte. Und als du sagtest mir nachher: "H. Wir sind uns heute ein ganz großes Stück näher gekommen!" –
Und nun soll das alles ein Traum gewesen sein? Auf deine Worte habe ich damals gebaut und ihnen zufolge angenommen, dass ich, so wie ich es getan, schreiben konnte. Du würdest es verstehen. – Nun stellt es sich heraus, kurz vor der Heirat, es ist nicht so. Ich durfte so nicht schreiben. Ein Ideal, das höchste ist damit dahin. Ich muss mit dir reden wie zu den anderen Menschen, die nackte Wahrheit ist nicht für dich, wie sie es für jene nie ist. Nur wenn ein Mäntelchen da ist, kann man den Leuten auch einmal die Wahrheit sagen. So gibt es wohl sehr wenige Brautleute, die so denken wie ich. Ob wohl wenigstens einer es erreicht hat, bei seiner Braut das zu erreichen, was er gehofft hat? Ich tröste mich nun mit den anderen. Du brauchst, liebe Hanna, über die Kapitel nicht betrübt zu sein. Es kann niemand dafür, dass ihm ein Teil Erkenntnis abgeht. Die Liebe kann voll vollständig ohne Erkenntnis leben. (2. Korinther 13) und einen und nimm es dir nicht sehr zu Herzen, dass du mir nicht alles sein kannst.
Ich hatte dich ja allerdings in dem Glauben lieb gewonnen, du würdest einst mein Denken widerspiegeln können. Es war wohl ein Hirngespenst von mir, aber doch ein schöner Glaube. Ich werde es zu überwinden suchen, damit ich nicht in Gleichgültigkeit verfalle und dann wirklich einen Fehler begehe.
Du bist ein gutes, prachtvolles Mädchen, Hanna. Du wirst deinen Mann glücklich machen. Du bist herzensgut und auch verständig. Du stehst über der großen Masse der Mädchen erhaben.
Man kann auch nicht alles verlangen. Ich glaube ganz sicher, dass wir beide glücklich miteinander werden leben! Und wenn es dir manchmal so scheinen mag, als wäre ich nicht glücklich, als fehlte mir etwas, dann aber auch nur dann, Liebste, denke daran, das ist noch eine Lücke gibt, über die du dir aber keine Sorgen machen musst. Die entstand eben aus meiner großen Eigenart.
Ich wusste sehr wohl, dass ich anders schreiben musste, aber meinst du nicht auch: es ist töricht, gleich alle Hoffnung, aufgeben zu wollen, Wenn man nicht gleich Erfolg sieht?
Gib mir, dass ich so rücksichtslos nur für mich gearbeitet habe. Es war wohl nur Egoismus. Ich glaubte aber berechtigt zu sein, ihn zu vertreten, denn es ist ein eigen Ding, zwei Wesen für Lebenszeit aneinander gefesselt zu sehen.
Oh aber, denke aber nicht, dass der Egoismus im Denken sich auf meine Person einzig bezog. Ich will nicht egoistisch sein. – – –
Ich habe eine an eine ganze Reihe Geschäfte geschrieben. Ich schicke dir auch bald einige Kataloge. Alles kann ich dir nicht schicken, da ich sie wieder abgeben muss. [...]"
9.9.1899
"[...] ich begreife nicht, dass du immer redest: es wird schon werden! Es wird das werden, was man sich an den Fingern abzählen kann und da ist es ganz selbstverständlich, dass man sich dann die Sache vorher ganz genau zurecht legt. Einzelne Abänderungen kann man ja immer treffen. So wird ja ein schönes Wirtschaften werden Dieses planlose, übertriebene gutmütige abwarten! Das ist die richtige Art, um mir zu helfen. Helfen willst du mir, meine Sorgen mir abnehmen, du Krauskopf und du machst mir noch mehr Sorgen! Deine Art kommt mir oft vor wie die eines jungen Backfisches. Ach, Hannah, wie schadet es doch den Kindern, wenn sie ohne mütterliche Pflege aufwachsen. Zu leicht bilden Sie sich auf ihre Selbstständigkeit etwas ein. Und zu schwer ist es, ihr Urteil zu beeinflussen, im höchsten Falle entschuldigen Sie sich damit, dass sie sich daran gewöhnt hätten, und das noch keiner einen Schaden davon gehabt hat. Praktisch ist Ihnen auch ein verhasst des Wort. Für Sie bedeutet selbstständig und praktisch das selbe. Na und so weiter. Die alte Leier! Das einzige was der Mann, der ein selbstständiges Fräulein heiratet, zumal ein älteres als er, Tun kann, ist: fürs erste zu schweigen und sich mit Riesen Geduld zu wappnen und die Frau von einem Reinfall auf den anderen aufmerksam zu machen, bis sie ihre Sicherheit verliert und für guten Rat zugänglicher wird.
Ich wäre sehr dafür, dass Hedwig und ich nach deinen Bezeichnungen (du hast genug Anhaltspunkte in den Katalogen), die Möbel aussuchen. Wir richten die Zimmer ein und ziehen dann in ein gemütliches Heim. Ich möchte das nächste Jahr, in dem ich mich zum Examen vorbereite (das Examen findet etwa im Herbst statt), auch gleich beim Anfang recht treu und fleißig verleben und in Ruhe anfangen und nicht in Hetzjagd, wie es bei dir jetzt der Fall ist mit deiner Aussteuer. Du lässt ja aber nichts sagen. Das wäre der erste Reinfall. Möchtest du den zweiten und dritten, die aufeinanderfolgen werden, verhüten?
Nur teilweise die Ausstattung zu kaufen, ist es doppelten Transportes unpraktisch. Ich begreife überhaupt nicht, warum ich dir die Kataloge schicken sollte, wenn du doch nichts davon hast und daraus lernst.
Haben wir unsere Hochzeitsfeier beendet, so fahren wir gleich fort nach Berlin. Dort bleiben wir so lange, dass wir am Silvesterabend in Münster eintreffen. Am Neujahrstag gehen wir dann in Münster zur Kirche und verbringen den Tag seiner Würde entsprechen.
Ob und wann wir unsere Reise dann fortsetzen, bleibt uns noch vorbehalten.
So wünsche ich es. Und ich glaube, du wirst dich mir anschließen. Nun äußere dich dazu. Und liebste, schreibe mir doch mehr, immer mehr! Hast du kein Bedürfnis dazu? Ich möchte zu gerne viel hören über dich, über die lieben Eltern, über uns, über unser Treiben. Ach, Hannah! Herrlich wird es sein, zu zweien. Ich möchte nur zu gerne, dass es Wirklichkeit wäre.
Jetzt muss ich aber schließen.
Es ist zu spät.
Mit innigem Gruß, dein Hugo."
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